Von Ali Ahmad
Als erste organisierte Reaktion auf das Bildungsverbot der Taliban trafen sich AkademikerInnen der afghanischen Diaspora in Frankfurt/Deutschland, um die Gründung der ersten “Afghanischen Exil Online Universität (AEOU)” zu erörtern. Deren Ziel ist es Afghanen in Afghanistan und im Ausland eine “ideologiefreie” Bildung zu ermöglichen.
Die zweitägige Konferenz am 10. und 11. Dezember wurde vom World University Service (WUS) organisiert, an demafghanische WissenschaftlerInnen vor allem aus Deutschland, Österreich und Kanada sowie ehemalige afghanische Beamte und PolitikerInnen teilgenommen haben.
Dr. Rangin Spanta, ehemaliger Außenminister, Dr. Osman Babury, ehemaliger Kanzler der Universität Kabul, und Sajia Behgum Amin, Beraterin für Frauen- und Jugendangelegenheiten der abgesetzten afghanischen Regierung, waren die Hauptredner, die auf der Konferenz mit Dutzenden von Afghanen aus der Diaspora über die Aufgabe, die Struktur, den Lehrplan, die technischen Aspekte und den rechtlichen Status der AEOU diskutierten.
Babury sagte, dass 150 der 900 Angestellten der Universität Kabul Afghanistan aus Sicherheitsgründen bereits verlassen hätten, während viele andere noch immer nach Wegen suchten, das Land zu verlassen, um dem brutalen Taliban-Regime zu entfliehen, das seine ultra-islamistische Ideologie dem Bildungssystem aufzwingt.
Während der ersten Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 sind fast eine Million Jungen zur Schule gegangen, während Mädchen auf allen Ebenen von Bildungseinrichtungen ausgeschlossen waren.
Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 stieg die Zahl der Einschulungen von weniger als einer Million auf über neun Millionen SchülerInnen, von denen 39 Prozent Mädchen waren. Seitdem die Taliban zum zweiten Mal an die Macht zurückkehrt ist, dürfen nur noch Grundschülerinnen zur Schule gehen. Für alle anderen Mädchen und junge Frauen wurde der Unterricht an Gymnasien und Universitäten erneut verboten.
Ähnlich wie bei der Grund- und Sekundarschulbildung wurden auch im Hochschulwesen in Afghanistan in den letzten zwei Jahrzehnten enorme Fortschritte erzielt. Die Zahl der staatlichen Universitäten und höheren Bildungseinrichtungen stieg von nur sieben im Jahr 2001 auf 39.
Die Zahl der privaten Universitäten und Hochschuleinrichtungen stieg in den 20 Jahren des politischen und militärischen Engagements der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan von fast null auf 128.
Neben den Errungenschaften der letzten zwei Jahrzehnte sah sich der Hochschulsektor unter der früheren afghanischen Regierung zahlreichen sicherheitspolitischen, sozialen, kulturellen und politischen Herausforderungen gegenüber.
Bei zwei Anschlägen in den Jahren 2018 und 2020 hätten Bewaffnete die Universität Kabul angegriffen und dabei mindestens 22 Menschen getötet, erklärte Babury, aber auch die Einmischung von PolitikerInnen, Kriegsherren, extremistischen Gruppen und korrupten Beamten sei eine der größten Herausforderungen gewesen, mit denen Babury während seiner Amtszeit als Kanzler der Universität Kabul konfrontiert war.
Die größte Herausforderung war für Babury jedoch der “Widerstand gegen Veränderungen” durch viele konservative afghanische StudentInnen, die sich nicht an ein modernes Bildungsumfeld anpassen wollten.
Sajia Behgam Amin erinnerte die Teilnehmer daran, dass die Armut ein weiteres großes Hindernis für den Hochschulsektor darstelle, insbesondere für den Bildungszugang von Frauen.
Sie sagte, dass die meisten afghanischen Familien nicht in der Lage seien, die Ausbildung ihrer Mädchen und Jungen gleichzeitig zu unterstützen. Daher investierten die Familien nur in die Bildung der Jungen, entweder in Afghanistan oder sie schickten sie ins Ausland.
Die Einrichtung einer kostenlosen Online-Universität werde vor allem afghanischen Mädchen eine hervorragende Möglichkeit bieten, ihre Hochschulausbildung abzuschließen, sagte sie.
In ihrer Rede forderte Amin die Einbeziehung afghanischer Frauen nicht nur in den Vorstand und den Universitätsrat, sondern auch als Dozentinnen und Forscherinnen. Um mehr Frauen das Studium zu ermöglichen, schlug sie besondere Stipendien und andere Anreize für Studentinnen vor.
Afghanistan verliert akademische Freiheit
Vor einem Monat erklärte der de facto amtierende Taliban-Minister für ‚Higher Education‘, Abdul Baqi Haqqani, dass die Milliarden von Dollar, die die internationale Gemeinschaft in den letzten 20 Jahren in den afghanischen Bildungssektor investiert hat, “dem Land nichts nützen”.
Er sagte, “co-education ist gegen die islamischen Werte”, und die Trennung der Klassen an den Universitäten sei ihre oberste Priorität. Angesichts der verwirrenden Erklärungen der Taliban zu den Prioritäten im Bildungsbereich macht sich die afghanische Bevölkerung Sorgen über die Zukunft der Bildung, insbesondere für Frauen, unter der repressiven Herrschaft der Taliban.
Haqqani, der wegen seiner “regierungsfeindlichen militanten Aktivitäten” im Osten Afghanistans auf der Sanktionsliste des Rates der Europäischen Union steht, wurde von den afghanischen Nutzern sozialer Medien wegen seiner Rhetorik gegen moderne Studiengänge als “Anti-higher education minister” bezeichnet.
Als die Taliban im August die Kontrolle über die Universität Kabul übernahmen, versicherte Babury den Taliban bei seinem ersten Treffen, dass die Lehrpläne der Universitäten nichts gegen den Islam oder gegen die Einheit des afghanischen Volkes enthielten.
Für die Taliban hat die moderne Bildung jedoch keine Werte. Trotz der Zusicherungen wollen die higher edcuation Behörden de facto ihre eigene Ideologie und ihre eigenen Werte in die neuen Lehrpläne einbringen.
Mit den Taliban als neuen Machthabern des Landes, so Spanta, stehe Afghanistan vor der “Zerstörung von Bildung und Lehrplänen sowie der Zerstörung der akademischen Freiheit auf der Grundlage der vormodernen Ansichten der Taliban”.
Die Taliban entmenschlichten gebildete Afghanen und andere religiöse und ethnische Minderheiten. Er zeigte sich jedoch optimistisch, dass die AEOU jungen AfghanInnen eine “ideologiefreie” Hochbildung ermöglichen wird, die eine hervorragende Möglichkeit bietet, der politischen und ideologischen Not der Taliban zu entkommen.
Ziele und Struktur der afghanischen Exil Online Universität
Auf der Grundlage des vorläufigen Konzeptpapiers, das WUS den TeilnehmerInnen zur Diskussion vorlegte, umfasste die Einrichtung der Online-Universität fünf Hauptziele: 1) die Bereitstellung eines Studien- und Forschungsraums für die afghanische Diaspora, 2) die Möglichkeit, allgemeine berufliche Kompetenzen zu erwerben, 3) die Verbesserung des Fachwissens über Afghanistan, 4) die Förderung der Forschung über die afghanische Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft und 5) die Gewährleistung des Zugangs zu Studium und Forschung für in Afghanistan lebende StudentenInnen und WissenschaftlerInnen.
Die AEOU richtet sich zunächst an die afghanische Diaspora in der Region wie Iran, Pakistan und anderen Nachbarländern sowie an Afghanen in Flüchtlingslagern außerhalb der Region. Die TeilnehmerInnen der Konferenz sprachen sich jedoch nachdrücklich dafür aus, dass Studierende innerhalb Afghanistans bei der Zulassung an erster Stelle stehen sollten, während die Diaspora zweitrangig sein sollte.
Die AEOU wird sowohl Bachelor- als auch Masterstudiengänge in den Bereichen Sozial- und Geisteswissenschaften, Wirtschaft, Betriebswirtschaft und Informationstechnologie anbieten und darüber hinaus die Möglichkeit zur Promotion anbieten. Die Lehr- und Studiensprache wird Englisch sein. Im Falle von Partnerschaften mit Universitäten aus Deutschland oder anderen Ländern innerhalb und außerhalb der EU werden die AbsolventInnen entweder “doppelte oder gemeinsame Abschlüsse” erhalten.
Sowohl für die Bachelor- (3 oder 3 ½ Jahre) als auch für die Masterstudiengänge (1 ½ oder 2 Jahre) ist eine Dauer von fünf Jahren vorgesehen. Die an der Konferenz teilnehmende Diaspora war mit der Verwendung des Begriffs “Exil” im Namen der Universität nicht einverstanden, einigte sich aber darauf, den Namen zu ändern, sobald die Finanzierung der Universität gesichert ist.
Die jährlichen Kosten der AEOU werden auf 25 bis 30 Millionen Euro geschätzt. Es wird davon ausgegangen, dass die europäischen Regierungen und die internationalen Organisationen das geschätzte Budget für die 3000 VollzeitstudentInnen bereitstellen werden. Der Rechtsstatus der AEOU wird in der Bundesrepublik Deutschland als Privatuniversität registriert werden, wenn Deutschland der Hauptgeldgeber sein soll.
Nicola Beer, deutsche Politikerin und eine der Vizepräsidentinnen des Europäischen Parlaments, unterstützte die Initiative zur Gründung der AEOU und versprach, sich im Europäischen Parlament für die Unterstützung des Projekts stark zu machen. In ihrer Rede am ersten Tag der Konferenz sagte sie, sie sei enttäuscht, die Taliban zum zweiten Mal an der Macht zu sehen.
Um die 63 Prozent der afghanischen Bevölkerung, die unter 25 Jahre alt sind, zu unterstützen, sei es wichtig, die afghanische Exilgemeinde in Europa mit der Afghanischen Exil Online Universität zu fördern, denn “Bildung setzt sich durch”, betonte Beer.
Für die englische Version, lesen Sie VIDC